© Magda Ehlers

Die Geschichte vom kleinen Regenbogen-Tatütata

(Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne die Zustimmung der Autorin, Silke Farmer, unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen).

Kapitel 1

Es war einmal ein kleines Regenbogen-Tatütata, das stand auf einem großen Parkplatz, inmitten von vielen anderen Tatütatas wie Rettungswagen, Polizeiautos und Feuerwehrfahrzeugen. Warum es hier gelandet war, konnte sich das kleine Auto nicht erklären. Vor einigen Wochen hatte es ein Transporter hier einfach abgesetzt. Doch während alle anderen immerfort zu Einsätzen gerufen wurden, musste das kleine Regenbogen-Tatütata tagein, tagaus am selben Fleck stehen. Die anderen lachten insgeheim über das kleine, bunte Fahrzeug.

Einmal machten sie sich richtig lustig über das Regenbogen-Auto und fragten es: „Wann darfst denn du einmal ausfahren?“ Darauf wusste das Fahrzeug keine Antwort. „Wirst du gerufen, wenn sich jemand verletzt hat?“, wollte ein Rettungswagen wissen und grinste. „Nein“, antwortete das kleine Gefährt traurig. „Darfst du vielleicht ausfahren, wenn eine Bank überfallen wurde?“, höhnte das Polizeiauto. „Nein“, sagte das Regenbogen-Tatütata. „Oder“, spöttelte ein Feuerwehrwagen, “wirst du angefordert, wenn es brennt?“ Alle prusteten los. Da kamen dem kleinen Tatütata die Tränen, so traurig war es.

In den nächsten Wochen änderte sich nichts. Während die anderen Fahrzeuge zu Einsätzen fuhren, blieb das Tatütata alleine zurück.

Bis eines Tages eine dunkelhaarige Frau mit einem freundlichen Gesicht auf den Parkplatz kam, schnurstracks auf das Regenbogen-Auto zuschritt, es aufsperrte und mit ihm davonbrauste. Da war das kleine Fahrzeug ganz aufgeregt und fragte: „Ja, wo fahren wir denn hin? Was haben wir vor? Und wer bist du?“ Die nette Frau schmunzelte und antwortete: „So viele Fragen, kleines Tatütata. Genieße diese Fahrt. Wohin es geht, wirst du schon bald sehen.“

Und so war es dann auch. Das kleine Regenbogen-Tatütata genoss die Ausfahrt wie nichts zuvor. Es ging vorbei an Hochhäusern, an Parks und Spielplätzen. Das bunte Auto begegnete vielen anderen Fahrzeugen: großen, kleinen, weißen, schwarzen, blauen und roten. Es sah Menschen, die zu Fuß gingen und solche, die auf Fahrzeugen mit nur zwei Rädern fuhren. „Das sind Fahrräder“, erklärte die dunkelhaarige Frau, als sie den fragenden Blick des Fahrzeugs bemerkte. Und dann sah das Auto zum ersten Mal in seinem Leben diese kleinen Menschen, die Kinder genannt wurden. Lieb sahen sie aus, fand das kleine Tatütata. Irgendwie wirkten sie fröhlicher und unbeschwerter als die Erwachsenen. Das gefiel ihm.

Mittlerweile hatten sie die Großstadt mit ihren hohen Gebäuden hinter sich gelassen, auch die Vorstadt mit den kleineren Häusern und schönen Gärten. So langsam wurde das kleine Tatütata unruhig und wollte wissen, wohin sie fuhren. „Geduld“, sagte die Frau genau in dem Moment, als sie in eine wunderschöne Allee mit alten Blumen einbogen.

Die Allee schien unendlich lang zu sein, aber schließlich mündete die Straße in einen von Blumen umstandenen Parkplatz. Zur großen Überraschung des kleinen Fahrzeugs parkten dort viele andere Regenbogen-Tatütatas. Große und kleine farbenprächtige Autos, die sich nun eilig versammelten, um den Neuankömmling zu begrüßen.

„Hallo kleines Tatütata! Schön, dass du endlich da bist, wir haben uns schon so auf dich gefreut“, riefen sie ihm zu. Das kleine Auto war sofort ganz aufgeregt. „Ja aber…, da gibt es ja noch mehr von meiner Sorte!“, stammelte es.

Die Frau musste lächeln: „Was hast du denn gedacht? Dass du allein auf der Welt bist?“
Ja“, murmelte das Tatütata.
„Aber nein, du bist nur auf den falschen Parkplatz geliefert worden. Du hättest von Anfang hierher kommen sollen. Aber jetzt bist du ja da und alle freuen sich.“

Das Regenbogen-Tatütata war ganz aus dem Häuschen vor Glück. Aber eine Frage hatte es dennoch auf dem Herzen. „Sag einmal“, wandte es sich an die freundliche Frau, „wozu sind wir Regenbogen-Tatütatas eigentlich gut?“ Wieder lächelte diese.
„Das ist ganz einfach“, antwortete sie. „Immer wenn irgendwo auf der Welt ein Kind krank ist oder traurig, dann kann es ein Regenbogen-Tatütata rufen. Dieses tröstet das Kind und
bleibt dann bei ihm bis es wieder gesund ist und lachen kann. Das ist die Aufgabe der Regenbogen-Tatütatas.“

Kapitel 2

Das kleine Regenbogen-Tatütata hatte einen wunderschönen Traum. Es stand auf einem Parkplatz inmitten von anderen bunten Fahrzeugen und wurde jeden Tag zu einem wichtigen Einsatz gerufen. Immer musste es ein kleines Menschenkind, das traurig oder krank war, trösten. Eine Aufgabe, die das Tatütata von ganzem Herzen glücklich machte.

Dann aber wurde das kleine Fahrzeug wach und stand mutterseelenallein auf einem Parkplatz. „Wieder einmal!“, dachte der bunte Wagen traurig. „Es war alles nur ein Traum.“

Doch dann erklang ein Motorengeräusch und zwei Regenbogen-Tatütatas brausten um die Ecke. Sie bremsten sich mit quietschenden Reifen vor ihrem Kollegen ein. „Hallo“, rief das Größere der beiden, „ich bin Fred.“
„Und ich bin Willi. Wir gehören ab heute zu deinem Team – wir helfen dir, ein richtiges Regenbogen-Auto zu werden. Wie heißt du eigentlich?“

„I..I..Ich?“, stotterte das kleine Tatütata, “ich, ich weiß gar nicht…”
„Ach Willi, es hat doch noch keinen Namen, es war doch noch bei keinem Kind!“
„Du hast recht, Fred, hab‘ ich vergessen“, grinste Willi. Das kleine Tatütata hatte keine Ahnung, wovon die beiden sprachen. Aber es war glücklich, den vergangenen Tag doch nicht geträumt zu haben.

„Also, legen wir los?“, fragte Fred. “Jawohl!”, antwortete Willi und zwinkerte dem kleinen Tatütata zu: “Bist du bereit, mein Kleiner?” Ohne es beabsichtigt zu haben, sprang der Motor des kleinen Fahrzeuges mit einem lauten Brummen an, so sehr freute es sich – auch wenn es nicht recht wusste, was nun passieren würde. Fred und Willi kicherten: “Na, dann komm einmal mit.”

Die beiden Großen starteten ihre Motoren und brausten in Richtung Parkplatzausgang davon. Das kleine Regenbogen-Tatütata sauste ebenfalls los. In Schlangenlinien flitzten die drei Wagen durch die Parkplatzreihen. Zuerst Fred, dann Willi und hinterher das kleine Tatütata. Zum Glück waren die Plätze des Parkplatzes alle leer und die drei konnten sich nach Herzenslust austoben. Die umstehenden Bäume kniffen dabei ihre Augen zusammen, weil sie fürchteten, eines der Autos könnte sie streifen.

Das geschah natürlich nicht und das Rennen dauerte auch nicht lange, denn nach ein paar Kurven waren sie schon an ihrem Ziel, dem Ausgang, angelangt. Neben dem großen Tor hielten sie an. “Hui”, schnaufte das kleine Tatütata fröhlich, “das war ganz schön aufregend.”
Ja”, schmunzelte Fred und nickte Willi zu, “aber warte einmal, was jetzt gleich passieren wird.”

Willi fuhr daraufhin ein Stück zurück, machte einen großen Bogen und steuerte dann in schnurgerader Richtung wieder auf den Ausgang zu. In ein paar Metern Entfernung blieb er mit laufendem Motor stehen. Das kleine Tatütata konnte sich keinen Reim darauf machen und wandte sich mit fragendem Blick an Fred. Der deutete mit dem rechten Reifen zurück zu Willi. Die Augen des kleinen Tatütatas wurden nun ganz groß, als es sah, wie nach und nach aus dem Nichts ein wunderschöner Regenbogen entstand. Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Violett. In den schönsten Farben schillerte der Regenbogen, der sich von Willis Vorderreifen bis über das Ausgangstor erstreckte und ein Stück weit nach dem Tor mitten in der Luft endete.

Was sich nun ereignete, hätte das kleine Tatütata nicht für möglich gehalten: Willi, der jetzt langsam losfuhr, konnte – wie von Zauberhand gehoben – direkt auf den Regenbogen auffahren. So als handelte es sich um eine Straße und kein luftiges Gebilde. Und nun geschah etwas noch Erstaunlicheres, oder bildete sich der kleine bunte Wagen das nur ein?

“Nein, es passiert wirklich”, dachte das Tatütata: Mit jedem Meter schrumpfte Willi ein Stück. Er wurde kleiner und kleiner und als er am Ende des Regenbogens angekommen war, hatte Willi die Größe eines Spielzeugautos. Das Tatütata hielt den Atem an. Es glaubte, Willi würde gleich abstürzten, weil der Regenbogen nun ja zu Ende war. Das kleine Tatütata schrie: „Vorsicht, du wirst herunterfallen!“ Doch weit gefehlt. Stattdessen gab es einen kurzen Lichtblitz und Willi flog, jetzt ausgestattet mit zwei winzigen Flügeln, durch die Luft.

Kapitel 3

Das kleine Tatütata war sprachlos. Gerade war Willi noch ein ganz normales Fahrzeug gewesen und nun flatterte er als Spielzeugauto mit Flügelchen durch die Luft und lachte.

Fred lachte auch, als er das verdutzte Gesicht seines kleinen Freundes sah. „Da staunst du, was, kleines Tatütata?“
„Ja, aber wie ist das möglich? Wieso bist du denn jetzt so klein und hast Flügel, Willi?“, wollte es wissen.
„Um zu den Kindern zu fliegen und durch ihre Zimmerfenster zu schlüpfen. Das könnte ich als großes Auto doch nicht“, grinste Willi.
„Und nun musst du lernen, über den Regenbogen zu fahren. Schließlich willst du doch ein richtiges Regenbogen-Tatütata sein, oder?“, fragte Fred.

„Klar will ich das“, sagte das Tatütata schnell. „Nur wie? Was muss ich denn dazu tun?“, fragte es unsicher. Willi und Fred erklärten ihm, dass es dazu gar nichts Besonderes machen musste.
„Fahr mit Selbstvertrauen auf den Regenbogen zu und du wirst es schaffen. Du musst nur an dich glauben!“

Das Tatütata nickte entschlossen, startete seinen Motor, setzte ein Stück zurück und fuhr langsam auf den Regenbogen zu. Doch als es ihn erreichte, lenkte das kleine Auto seine Reifen durch die bunten Streifen hindurch. Hinauf kam es nicht. Enttäuscht blieb es stehen und sah sich ängstlich um. Es fürchtete, dass seine Kollegen lachen würden. So wie die Einsatzfahrzeuge auf dem Parkplatz, auf dem das Regenbogen-Tatütata so lange gestanden hatte. Aber nichts dergleichen geschah. Fred und auch Willi, der nun wieder seine normale Größe hatte, blickten ihm freundlich entgegen. „Macht nichts, das geht allen am Anfang so. Mach‘ es noch einmal“, ermunterten sie ihn.

Doch auch beim zweiten und dritten Versuch funktionierte es nicht. Beim vierten Mal entfuhr ihm ein Freudenschrei – es fuhr den Regenbogen hinauf. Jedoch nur ein paar Meter weit, dann plumpste es unsanft auf den Boden. „Autsch.“ Der kleine Wagen rieb sich mit seinem rechten Vorderreifen sein schmerzendes Hinterteil und sah sehr unglücklich aus. Sogleich sausten Fred und Willi herbei. „Hast du dir wehgetan, kleiner Freund?“ Verwundert blickte das Tatütata in die besorgten Mienen seiner Kollegen.

„Bin ich wirklich eurer Freund?“
„Na klar bist du das“, riefen Fred und Willi wie aus einem Mund. „Zweifelst du daran?“
„Ich schäme mich so, dass ich nicht über den Regenbogen fahren kann. Vielleicht mögt ihr mich gar nicht mehr, wenn ich versage?“ Langsam begriffen die größeren Autos, was mit dem kleinen Tatütata nicht stimmte. „Die anderen Fahrzeuge waren gemein zu dir, stimmt’s? Aber du brauchst nicht an dir zu zweifeln. Du bist richtig so wie du bist. Selbst wenn du tausend Mal probieren musst, über den Regenbogen zu fahren, bevor es klappt – wir bleiben an deiner Seite“, tröstete Fred.
„Und wenn du zehntausend Anläufe brauchst, ebenso“, zwinkerte ihm Willi zu.

Wie früher so häufig kamen dem Regenbogen-Tatütata die Tränen. Aber diesmal waren es Freudentränen. „Sie haben mich gern“, dachte es. Ganz warm wurde ihm bei diesem Gedanken.

Auch die nächsten Versuche scheiterten. Aber immer waren Fred und Willi zur Stelle und munterten das kleine Tatütata auf.

Und dann war es soweit. Das kleine Regenbogen- Tatütata setzte seine Reifen auf den Regenbogen auf und fuhr entschlossen darüber hinweg. Mit jedem Meter wurde es kleiner und kleiner bis ein Lichtblitz es in ein Spielzeugauto mit schimmernden kleinen Flügeln verwandelte. Fred und Willi jubelten und überschlugen sich vor Begeisterung. Das kleine Tatütata flitzte durch die Luft, immer hin und her, und konnte sein Glück gar nicht fassen. Jetzt, wusste es, war es bereit für seinen ersten großen Auftrag. Sehr bald schon würde das kleine Tatütata ein Kind kennenlernen, es liebhaben und bei ihm sein, bis es ihm wieder gut ging – und dieses Kind würde ihm seinen Namen geben.